MFG - St. Pölten darf Kopenhagen werden
St. Pölten darf Kopenhagen werden


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St. Pöltens gute Seite

St. Pölten darf Kopenhagen werden

Text Beate Steiner
Ausgabe 02/2015

Was wohl hat die dänische Hauptstadt, das auch die niederösterreichische Landeshauptstadt besitzt? Eine Vision: Den Wunsch, lebenswert zu sein. Kopenhagen hat’s schon geschafft, wurde zur lebenswertesten Stadt der Welt gekürt. St. Pölten ist auf dem Weg zum Ziel.

Ja, klar, Kopenhagen ist ungefähr zehnmal so groß wie unsere 55.0000-Einwohner-Stadt, aber Wohlfühlkriterien sind von der Größe unabhängig. Diese Paradigmen hat ein Mann eindringlich formuliert, der seine Heimatstadt im Qualitäts-Ranking ganz nach oben gebracht hat – der Kopenhagener Stadtplaner und Uni-Professor Jan Gehl.
Platz fürs Leben
Er stellt seit 50 Jahren dieselben Fragen: Wie wollen wir leben? Wie bringen wir mehr Leben in unsere Stadt? Und er hat allgemein gültige Antworten darauf gefunden: „Ausgangspunkt ist immer das menschliche Maß. Um für Menschen zu bauen, müssen wir die Sinne der Menschen berücksichtigen, die Größenverhältnisse, in denen wir uns wohlfühlen“, schreibt der Architekt in seinem Buch „Cities for People“. Dazu gehört auch, dass eine Stadt nicht im Tempo des Automobils, sondern in jenem der Fußgänger und Radfahrer ticken sollte. Ein verlässlicher Indikator dafür ist, wenn viele alte Menschen und Kinder auf den Straßen und Plätzen unterwegs sind.
Jan Gehl ist davon überzeugt, dass Autos und Wolkenkratzer besonders effiziente Mittel sind, um das Leben in einer Stadt zu ersticken. Gut, Wolkenkratzer-gefährdet ist St. Pölten ja – noch – nicht. Aber das gilt schon auch für uns Kleinstädter: „Weniger Straßen und weniger Parkplätze schaffen Platz für Radfahrer, Fußgänger, Cafés und Plätze, kurz: für das Leben“, sagt der Däne und untermauert seine Theorie: In Kopenhagen wurde an der Uni vor 50 Jahren begonnen konsequent zu erforschen, welch positive Auswirkungen eine Politik hat, die sich an den Menschen orientiert. Gehl und seine Studenten befragten Anrainer und Passanten nach ihren Wegen und Lieblingsplätzen, stoppten die Zeit, die sich Fußgänger auf Plätzen aufhielten, untersuchten selbst Details wie den Zusammenhang zwischen Fassadengestaltung und Aufenthaltsqualität in einer Straße. Niemand glaubte am Anfang an den Erfolg, weil es in Kopenhagen zu kalt sei, und es auch nicht der nordischen Mentalität entspräche, sich draußen aufzuhalten. Aber sobald es den Platz dafür gab, verbreitete sich mediterranes Lebensgefühl.
Übrigens kommen nur 40 Prozent der Menschen zum Shoppen in die Kopenhagener Innenstadt, sagen Umfragen, die Mehrheit kommt, weil sie hier Leute treffen und was erleben wollen. Allmählich wurde das bunte Treiben normal, Kopenhagen ist zur „grünen Hauptstadt Europas“ geworden. Das ist mittlerweile enorm wichtig für den Wirtschaftsstandort und das Image.
Dokumentation und Fakten statt Vermutungen und Emotionen
So gut funktioniert hat das, weil alle Projekte an der Uni dokumentiert wurden, ist Jan Gehl überzeugt. Die Politiker konnten mit ihren Vorschlägen auf Fakten bauen, die Stadtbewohner ließen sich von der Entwicklung überzeugen. Denn als Anfang der 1960er-Jahre der Umbau Kopenhagens begann, als die erste Straße der Kopenhagener Innenstadt für den Verkehr gesperrt wurde, protestierten noch die Ladenbesitzer, weil sie herbe Einbußen befürchteten. Tatsächlich aber florierten die Geschäfte, und mehr und mehr Fußgänger-Straßen und Plätze folgten.
Diese Entwicklung hatte nicht nur Auswirkungen auf die Lebensqualität, sondern auch auf die Gesundheit der Kopenhagener: „Wenn wir besser auf die Menschen in der Stadt achten, sie einladen mehr zu gehen und Rad zu fahren, dann ist das sehr gut für die Lebensqualität, Nachhaltigkeit und Gesundheit“, sagt Jan Gehl. Wenn Menschen eigene Energie statt fremder nutzen, tun sie nicht nur etwas für ihr eigenes Wohlbefinden, sie sind auch intensiver Teil der Stadt, in der sie leben, sehen, was vor sich geht. Mit noch einem Nebeneffekt: „Das macht Städte sicherer.“ Und ist kostengünstiger: „Kopenhagener Studien belegen, dass die Stadt von jedem geradelten Kilometer 23 Cent profitiert, ein mit dem Auto gefahrener Kilometer kostet der Stadt 16 Cent“, so der dänische Stadtplaner.
Was sollen wir von den Besten lernen?
Kopenhagen hat also im Ranking des Magazins „Monocle“ weiter den Status als „lebenswerteste Stadt der Welt“, weil die dänische Hauptstadt eine „unschlagbare Kombination von Kultur, Toleranz, flottem Nahverkehr, Sinn für Sonne, Grünflächen, globaler Anbindung und schlauer Architektur“ hat, so die Begründung.
In St. Pölten hängen einige Entscheidungen für flotten Nahverkehr, Grünflächen und schlauer Architektur in der Warteschleife. Sollen wir uns dafür an „best practice“-Beispielen orientieren?
St. Pöltens Stadtplaner Jens de Buck ist fasziniert von Jan Gehls Ideen und auch von Kopenhagen: „Hier ist die Lebensqualität einer urbanen Großstadt spürbar. Und das zeigt sich nicht nur an Unmengen Rad fahrender Bürger aller Schichten und jeden Alters, sondern auch in der Eroberung und Nutzung des Öffentlichen Raums durch die Menschen“, erklärt de Buck. Besonders bemerkenswert findet es St. Pöltens Stadtplaner, dass die Entwicklung zur Fußgänger- und Radfahrer-Stadt die Kopenhagener verändert hat: „Es wird gelebt! Diese Erfahrungen einer nachhaltigen Stadtentwicklung könnten sehr gut als Beispiel auch für die weitere Entwicklung St. Pöltens dienen“, ist Jens de Buck überzeugt, denn gerade das Aufzeigen guter Beispiele helfe oft schwierig vermittelbare Planungsziele anschaulich in ihren Auswirkungen zu verdeutlichen. Das Beispiel Kopenhagen zeige aber auch, dass das ein langwieriger Prozess ist, in den die Bürger eingebunden und „mitgenommen“ werden müssten.
Mit den vorliegenden Planungs- und Entwicklungskonzepten sind wir auf einem sehr guten Weg, die Lebensqualität in unserer Stadt nicht nur zu erhalten sondern auch weiter zu verbessern, weiß der Stadtplaner, der allerdings oft erlebt, dass kurzfristige Ziele des Einzelnen gegenüber langfristigen nachhaltigen Entwicklungszielen noch im Vordergrund stehen: „Es ist daher auch unsere Aufgabe, die längerfristig wirkenden Zielsetzungen konsequent zu vertreten.“
In diese Richtung wurden in den vergangenen Jahren viele „kleine“ Einzelmaßnahmen gesetzt, die in Summe zu einer gestiegenen Lebensqualität geführt haben, etwa das Naherholungsgebiet Viehofner Seen und der Traisenraum, der Stadtbus LUP, die Radverkehrsplanung, die Aufwertung und Erweiterung der Fußgängerzone in der Innenstadt, die Neugestaltung und Neuorganisation des Bahnhofsumfeldes, aber auch mehr Wohnbauflächen im urbanen Kern der Stadt und in den einzelnen Stadtteilen. Jens de Buck erwartet eine weitere Zunahme der Urbanität über die Altstadt hinaus, was letztlich mehr „Leben“ im Öffentlichen Raum bringt: „Und dies führt sukzessive zu neuen Nutzungs- und Gestaltungsansprüchen an diesen Raum. Hierbei könnte durch die Bürger letztlich auch ein stärkerer Fokus auf den Maßstab Mensch gelegt werden – also mehr Fußwege, Radwege, Aufenthalts- und Verweilzonen, aber auch der Wunsch nach einer durchmischten Stadt mit unterschiedlichen Nutzungsangeboten – letztlich die „Stadt der kurzen Wege“.
Nachhaltigkeit ist wichtiger als Rankings
Masterplan-Mastermind Josef Wildburger ist überzeugt, dass Nachahmung zwar nicht funktioniert, aber man kann aus Beispielen lernen, nach der Regel „annehmen-anpassen-verbessern“: „St. Pölten soll St. Pölten bleiben und sich auf Basis der eigenen Stärken und seiner Einzigartigkeit entwickeln.“ Das habe auch Kopenhagen getan, das ist Teil des Erfolgs. Nur so kann die Landeshauptstadt im Kreis  der besonders lebenswerten Städte seine Stellung behaupten. Denn wir sollten eines nicht übersehen: „St. Pölten wird von weiter außen als Teil von Wien gesehen, das bei diesem Ranking auf Platz 6 liegt — wir bewegen uns also schon jetzt auf einem ganz guten Niveau.“ Im Übrigen sei Nachhaltigkeit viel wichtiger als Rankings. „Diese haben die Aktualität von Tageszeitungen. Nicht alles, was gerade modern ist, ist gut für eine nachhaltige Stadtentwicklung.“ Für diese müsste schon noch einiges getan werden: Der Masterplan sollte als erster Schritt der gesamten Stadtentwicklung verstanden und mit derselben Methodik Stadtteil um Stadtteil und das Gesamte aufgearbeitet werden. Und im Unterschied zu Jan Gehls Ansätzen sind in St. Pölten die Bürger und ihr Bürgermeister die Bauherrn und Entwickler. „Die Planer müssen gemeinsam mit ihnen und der Wirtschaft die Stadt entwickeln und nicht für sie!“ Als St. Pöltner Alleinstellungsmerkmal sollte zum Beispiel die Fußläufigkeit in der Stadt betont werden: „Wir brauchen mehr Investitionen in Plätze und Wege“, ist Josef Wildburger überzeugt, etwa Studentenpfade von der Fachhochschule in die Altstadt oder in die Kulturachse zwischen Regierungsviertel und Rathausplatz.
Und beim Dauer-Diskussions-Thema Domplatz ortet der Obmann der Plattform 2020 Missverständnisse: „Wir brauchen keinen autofreien Domplatz, sondern einen stellplatzfreien. Er muss befahrbar und belieferbar sein. Die hier lebenden Menschen und unsere Gäste sollen den Platz nach ihren Bedürfnissen gezielt nutzen können, als Marktplatz, öffentlichen Wohnraum, Eventraum.“ Als Parkplatz würde der Domplatz der Allgemeinheit vorenthalten, sagt Josef Wildburger: „Da nutzt er insbesondere Parkpickerl-Inhabern, die sich auf Kosten der Allgemeinheit die Kosten für ihren privaten Stellplatz sparen oder denen, die die Kosten für die Kurzparkgarage vermeiden wollen.“
Wollen unsere Entscheidungsträger von den Besten lernen?
Bürgermeister Matthias Stadler hält nichts ab, sich gute Ideen zu holen: „Das ist keineswegs eine Floskel. Bei den Wirtschaftsreisen, bei den vielen anderen Terminen, die ich wahrnehme, geht es vielfach auch darum, wie andere an Problemstellungen herangehen und diese lösen. Man muss das Rad nicht immer neu erfinden, wenn es bereits gute Lösungen gibt. Wir haben in der Vergangenheit schon viele Ideen anderer aufgegriffen, weiterentwickelt oder abgeändert und schließlich umgesetzt. Sonst wären wir nicht so gut unterwegs. Umgekehrt, kommen auch schon viele nach St. Pölten, um sich ‚unseren Weg‘ anzusehen. Ich finde das vollkommen okay und sehr befruchtend!“
Das Stadtoberhaupt, das sich selbst zu den größten St. Pölten-Fans zählt, ist überzeugt, dass die Stadt im Masterplan und im Generalverkehrskonzept klare Ziele formuliert hat und dies auch jetzt mit dem Stadtentwicklungskonzept tut: „Wir haben mit Projekten wie der Glanzstadt oder den WWE-Gründen herausragende Chancen für eine nachhaltige positive Entwicklung. Unser Erfolg, der mittlerweile auch im Ausland anerkannt wird, ist darauf begründet, dass die zentrale Grundlage unseres Handelns stets die Frage ist: ‚Was ist für die Menschen gut?‘“
Für VP-Vizebürgermeister Matthias Adl ist eines klar: „St. Pölten soll St. Pölten bleiben.“ Man sollte allerdings funktionierende Konzepte aus anderen Städten analysieren und auf Tauglichkeit und Umsetzbarkeit für St. Pölten prüfen: „Denn jede Stadt steht vor anderen Herausforderungen. Wir in St. Pölten brauchen dafür zum Beispiel einen Aktionsplan für die Linzer- oder die Wiener Straße, einen multifunktionalen Domplatz statt einer rot-grünen Betonwüste oder attraktiven Wohnbau im Zentrum.“
Leben, wohnen und arbeiten im Stadtzentrum gemeinsam mit attraktiven Freizeit-, Wohn- und Wirtschaftsangeboten in den Stadtteilen – das ist Lebensqualität für die St. Pöltner VP. „Wir in der Politik müssen dafür die Augen offen halten, wenn es darum geht Verbesserungspotential zu finden, und offene Ohren für jene, die mit neuen Ideen an uns herantreten. Dafür haben wir zum Beispiel die Initiative ‚St. Pölten weiterdenken‘ ins Leben gerufen“, sagt Matthias Adl.
Für FP-Chef Hermann Nonner ist St. Pölten eine der liebenswertesten Städte Österreichs, die sich natürlich an den Besten ein Beispiel nehmen soll. „Wir können stolz auf unsere Entwicklung sein“, meint Hermann Nonner, allerdings: „Wir spielen unsere zentrale Lage zu wenig aus. Dafür müssten wir mehr Mittel im Marketing einsetzen, das kommt uns wieder zurück!“
Die grüne Gemeinderätin Nicole Buschenreiter wünscht sich unbedingt ein St. Pölten à la Kopenhagen, nämlich eine Stadt für Menschen, Alte und Junge, für die Wohnungen, Plätze, Straßen, Parks, Freizeitangebote und soziale Einrichtungen nach Maß und Bedürfnis errichtet und betrieben werden. Dazu braucht es Städteplanung, die das Wohnen im Zentrum attraktiv macht und mit dem Menschen als Maß aller Dinge: „Straßen, die zum Gehen einladen, Plätze zum Verweilen, Parks zum Spielen und Genießen und konkret ein Bussystem, das Menschen im drei bis fünf Minuten Takt von A nach B bringt.“
Warum trotz all dieser positiven Politiker-Sager St. Pölten noch auf dem Weg und nicht im Ziel ist, warum also Erkenntnisse nicht möglichst schnell umgesetzt werden, dafür hat Plattform-Obmann Josef Wildburger eine Erklärung: „Manche Politiker pflegen die vorauseilende Befriedigung von selbstinterpretierten Wünschen parteipolitisch wichtig empfundener Klientel. Das ist nur in den seltensten Fällen die Mehrheit der Bürger, wird aber gern so verkauft.“